Hammelburger-Album

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Ein Bericht von Frauke Steinhäuser, Hamburg und Petra Kaup-Clement, München-Haar


Betty Frank, geb. Levi, geb. am 3.9.1894 in Unterriedenberg/Bayern, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, von dort deportiert nach Auschwitz, dort am 28.10.1944 ermordet.

Siegfried Heinrich Frank, geb. am 29.2. bzw. 1.3.1892 in Willmars/Bayern, deportiert am 19.7.1942 nach Theresienstadt, von dort deportiert nach Auschwitz, dort am 28.9.1944 ermordet.


1936 waren Betty und Siegfried Frank aus der kleinen unterfränkischen Stadt Hammelburg nach Blankenese gezogen, das damals noch kein Stadtteil Hamburgs war, sondern Teil der selbstständigen preußischen Stadt Altona. Die antisemitischen Diskriminierungen und Verfolgungen in Hammelburg waren für die jüdische Familie Frank lebensbedrohlich geworden. Sie hofften, in Norddeutschland wieder Luft zum Atmen zu finden.

Betty Frank war 1894 als Tochter des israelitischen Religionslehrers Emanuel Levi und seiner Frau Jettchen in  Unterriedenberg bei Bad Brückenau zur Welt gekommen. Von den rund 300 Einwohnern des Dorfes waren fast ein Drittel jüdischen Glaubens. Es gab in Unterriedenberg eine Synagoge, ein rituelles Bad und eine jüdische Schule; die meisten Juden des Dorfes lebten vom Viehhandel.

Siegfried Frank kam aus Willmars in der Rhön. Auch hier gab es seit dem 18. Jahrhundert eine jüdische Gemeinde. Siegfrieds Vater war der Kaufmann Abraham Frank; seine Mutter hieß Regina. Beide hatten 1889 in Willmars geheiratet. Im Jahr darauf bekamen sie eine Tochter, die sie Ida nannten. Sie wurde jedoch nur sechs Monate alt. Dann kamen die Zwillinge Siegfried und Babette zur Welt. Siegfrieds Schwester starb aber mit drei Jahren. Im November 1893 wurde Tochter Paula geboren. Regina Frank starb 1910 im Alter von 45 Jahren. Daraufhin heiratete Siegfrieds Vater erneut, seine zweite Frau hieß Amalia, genannt Mali oder auch Malchen. Sie stammte aus Dittlofsroda.

In Willmars heirateten auch Siegfried und Betty Frank im Jahr 1920. 1921 kam Sohn Paul zur Welt. Im Februar 1924 zog die Familie von Willmars nach Hammelburg. Dort übernahmen sie in der Weihertorstraße 5 das Manufakturwaren-Geschäft des jüdischen Kaufmanns Max Stühler. Es war ein Geschäft für Kurz- und Weißwaren, Wäsche, Stoffe und Bekleidung.

Siegfried Frank behielt den in Hammelburg vertrauten Geschäftsnamen „Max Stühler Nachf.“ bei und ergänzten ihn durch den Zusatz „Inh.: Siegfried Frank“. Zu der Zeit war Betty Frank erneut schwanger: Die kleine Regina Ruth kam zweieinhalb Monate später, am 24. April 1924, zur Welt. Trotz der beiden Kinder war Betty Frank berufstätig. Während Siegfried Frank mit dem Auto in die umliegenden Dörfer fuhr und seine Textilwaren dort der Landkundschaft anbot, stand seine Frau zu Hause im Geschäft und bediente die dortigen Kundinnen und Kunden. Siegfrieds Eltern Abraham und Malchen Frank waren ihnen 1926 aus Willmars nach Hammelburg gefolgt.


 

Alle wohnten nun gemeinsam zur Miete in dem Haus an der Weihertorstraße, das vormals der jüdischen Familie Katz gehörte. Familie Frank war sehr religiös. Sie lebte ihren jüdischen Glauben auch im Alltag, feierte die jüdischen Feste und ging am Sabbat in die Synagoge, in der Siegfried Frank als Aushilfsvorbeter tätig war. Paul Frank, der den Holocaust überlebte, erinnerte sich noch 1995 in einem Briefwechsel mit dem damaligen Bürgermeister Hammelburgs wehmütig daran, wie er in der 1938 geschändeten Synagoge der Stadt zum ersten Mal zum Torahlesen aufgerufen worden war.

Betty und Siegfried Franks Geschäft lief gut – bis zum März 1933. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurden beide ebenso wie viele andere Hammelburger Jüdinnen und Juden verstärkt zum Ziel antisemitischer Verfolgungen und Boykottmaßnahmen. Verstärkt deshalb, weil das Ehepaar Frank bereits seit seiner Ankunft in Hammelburg Anfang 1924 immer wieder judenfeindlichem Verhalten ausgesetzt war.

Schon 1923 hatte sich eine erste NSDAP-Gruppe gegründet, deren aktivste Mitglieder den Franks direkt gegenüber wohnten. Nach der erneuten Gründung der NSDAP-Ortsgruppe Hammelburg 1930 setzten sich die Beschimpfungen und Schikanen fort. Ab März 1933 wurden die Scheiben von Betty und Siegfrieds Geschäfts mehrfach eingeworfen, Kundinnen und Kunden am Betreten des Ladens gehindert, sie selbst und ihre Familie angepöbelt und bedroht. Der Umsatz ging zurück, gleichzeitig mussten sie ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen.

Drei Jahre hielten die Franks noch durch, dann gaben sie auf. 1936 mussten sie ihr Geschäft schließen. Für sich und ihre Kinder sahen sie nun keine Möglichkeit mehr, in Hammelburg zu bleiben. Auch die Kinder Paul und Ruth waren Schikanen ausgesetzt.  Nichtjüdische Kinder pöbelten sie an, wenn sie draußen auf der Straße spielten. Schließlich zogen sich die jüdischen Kinder der Stadt in den geschlossenen Innenhof der Hammelburger Synagoge zurück, um dort in Ruhe gelassen zu werden.

Ende Oktober 1935 schickten die Eltern den damals 14-jährigen Paul nach Frankfurt, damit er in einer jüdischen Lehrlingsanstalt eine Ausbildung begann. Über die jüdische Gemeinde in Hammelburg hatte Siegfried Frank davon erfahren, dass die Hamburger jüdische Gemeinde einen neuen Verwalter für ihr Erholungs- und Landjugendheim Wilhelminenhöhe in Blankenese an der Rissener Landstraße 127 suchte.

Er bewarb sich zusammen mit seiner Frau für diese Stelle und bestand die dafür zu absolvierende Prüfung. So zogen beide im Sommer 1936 von der kleinen, landschaftlich schönen Stadt Hammelburg in Unterfranken an die Elbe. Ihre Tochter Ruth folgte ihnen Ende August, und auch ihr Sohn Paul kam von Frankfurt nach Hamburg.  Siegfried Franks Eltern Abraham und Malchen Frank dagegen blieben in Hammelburg wohnen.

Siegfried und Betty Frank bekamen in Hamburg eine Dienstwohnung in der Wilhelminenhöhe, Ruth besuchte die jüdische Mädchenschule an der Karolinenstraße und Paul begann eine Lehre in der Hachschara-Tischlerwerkstatt an der Weidenallee als Vorbereitung auf ein Leben in Palästina. Für beide Kinder war es ein weiter Weg, da die Wilhelminenhöhe am westlichen Blankeneser Ortsrand lag.

In der Wilhelminenhöhe gab es Hachschara-Kurse für junge Jüdinnen und Juden. Dort lag der Schwerpunkt auf der Gärtnerausbildung. Dabei war die Wilhelminenhöhe zwar ein religiös geführtes Heim, die Jugendlichen kamen aber aus verschiedenen zionistischen Organisationen – aus dem religiösen Bachad, dem linksorientierten Hechaluz und dem Pfadfinderbund Makkabi Hazair.


 

Auch Paul Frank absolvierte in der Wilhelminenhöhe einen Vorbereitungskurs. Dazu unterbrach er seine Tischlerausbildung in Eimsbüttel. Außerdem betreute er im Sommer im Kibbuz Schachal, einem Hachschara-Zentrum in Blankenese, Kindergruppen. Diese kamen täglich aus der Hochdeutschen Israelitengemeinde zu Altona dorthin, da das Zentrum auch als Tagesferienkolonie diente.

Paul Frank verließ Deutschland im Herbst 1938 mit der Jugend-Alija. Da war er 17 Jahre alt. Über Triest (Italien) fuhren die jungen Frauen und Männer am 25. Oktober mit dem Schiff nach Tel Aviv, das sie nach fünftägiger Reise erreichten. Betty und Siegfried Frank gelang es zudem, für ihre damals 13-jährige Tochter Ruth einen Platz in einem der Kindertransporte von Hamburg nach England zu bekommen. Sie verließ Deutschland Mitte Dezember 1938. Vorher hatte sie noch von Blankenese aus beim Standesamt Hammelburg die Änderung ihrer Geburtsurkunde durch das Hinzufügen des Zwangsnamens Sara beantragt. Beide Kinder sahen ihre Eltern nie wieder.

Siegfried Franks Eltern Abraham und Malchen Frank wurden in Hammelburg Opfer des Novemberpogroms. Am Morgen des 10. Novembers 1938 drangen Männer der SA und des NSKK in die Wohnung der beiden alten Leute ein und zerschlugen mit Äxten und Beilen die gesamte Einrichtung.

Ende Dezember 1938 zogen Abraham und Malchen Frank ins jüdische Altersheim nach Würzburg. Dort starb Abraham Frank nur wenige Tage später, am 12. Januar 1939. Malchen, Siegfried Franks Mutter, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und dort am 1. April 1945 ermordet. Auch Betty Franks Eltern Jettchen und Emanuel Levi sowie ihre Schwester Frieda wurden Opfer des Holocaust.

1941 verkaufte die jüdische Gemeinde in Hamburg das Grundstück und das Wohnhaus der Wilhelminenhöhe gezwungenermaßen an die Stadt Hamburg.  Betty und Siegfried Frank zogen daraufhin in den heutigen Grotiusweg 36. Das dortige Hachschara-Zentrum hatten die Nationalsozialisten Mitte 1941 aufgelöst und zu einem „Judenhaus“ erklärt. Von dort wurden Betty und Siegfried Frank am 19. Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert. Am Tag vor der Deportation schrieb Siegfried Frank noch eine letzte Nachricht an seinen Sohn Paul: „Verziehen heute nach Theresienstadt. Wir sind gesund. Benachrichtige Ruth. Gruss und Kuss, Deine Eltern.“

Von Theresienstadt aus wurde das Ehepaar weiter nach Ausschwitz deportiert. Dort wurde Siegfried Frank am 28. September und Betty Frank am 28. Oktober 1944 ermordet.

Ihr Sohn Paul lebte in Palästina in einem Kibbuz in der Nähe von Haifa, den deutsche, österreichische und tschechische Jüdinnen und Juden 1938 gegründet hatten. Dort hatte er auch seine Ehefrau kennengelernt. Beide heirateten 1945 und bekamen drei Kinder sowie elf Enkelkinder.

Ruth Frank hatte in England geheiratet und war mit ihrem Ehemann nach Australien ausgewandert. Paul und Ruth Frank erfuhren erst nach dem Krieg durch eigene Nachforschungen vom Tod ihrer Eltern. Der damalige Bürgermeister der Stadt Hammelburg lud 1995 die noch lebenden Überlebenden des Holocaust aus Hammelburg ein, dazu gehörten auch Paul und Ruth Frank. Beide konnten die Einladung jedoch nicht wahrnehmen.

Die Wilhelminenhöhe in Hamburg wurde nach dem II. Weltkrieg der Jewish Trust Corporation übergeben. Sie verkaufte das Grundstück 1955 an einen Kaufmann, der es anderthalb Jahre später für etwa das Dreifache des Kaufpreises weiterverkauft. Bis heute ist das Grundstück im Privatbesitz und mit einem Wohnhaus bebaut.


Quellen:
1; 3; 4; 5; 6; 8; StaH 324-1 Baupolizei K 6992 Band 2; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 14705; StaH 351-11 Amt für Wiedergutmachung 16152;  StaH 424-111 Amtsgericht Altona 5796; StaH 552-1 Jüdische Gemeinde Nr. 992 e 2 Band 5 (Deportationsliste Theresienstadt 19.7.1942, Liste 1); StaH 522-1 Jüdische Gemeinde 297 Bd 22, S. 159; WdE/FZH 115, Interview vom 23.06.1993, anonymisierte Fassung, Aliasname: Samuel Federbusch, Interviewerin: Erika Hirsch; www.alemannia-judaica.de/hammelburg_synagoge.htm (letzter Zugriff 28.12.2013); Roland Flade, 50 Jahre danach. Die Stadt Hammelburg erinnert sich. Eine Dokumentation, hrsg. von der Stadt Hammelburg, 1995; Hammelburger Zeitung, Nr. 20, vom 15.2.1924; Karl Stöckner, Fundmaterialien von einstmaligen jüdischen Bürgern Hammelburgs, hrsg. vom Stadtarchiv Hammelburg, Hammelburg 2000; Informationen von Gerhard Schätzlein, Willmars; umfangreiche Auskünfte u. zahlreiche Dokumente von Petra Kaup-Clement, Hammelburg/ München-Haar; www.alemannia-judaica.de/unterriedenberg_synagoge.htm (letzter Zugriff 28.12.2013); www.victims-of-holocaust-hammelburg.de (letzter Zugriff 28.1.2014); www.hammelburger-album.de/index.php/29-lebensweise/juedisches-leben (letzter Zugriff 28.1.2014); www.holocaust.cz/de/victims/PERSON.ITI.1808 (letzter Zugriff 10.1.2014); www.holocaust.cz/de/document/DOCUMENT.ITI.20277 (Toten-Begleitschein Malchen Frank, letzter Zugriff 28.12.2013); www.shz.de/schleswig-holstein/region-stormarn/der-101-stolperstein-mahnt-id2153826.html (letzter Zugriff 28.1.2014); www.stolpersteine-luebeck.de/n/de/main/adressen/fleischhauerstrasse-1-familie-levi.html (letzter Zugriff 28.1.2014)

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